News

Wohnen darf kein Luxus sein

1. Wohnungsbaupolitischer Dialog in München diskutiert Strategien für bezahlbaren Wohnraum in der Region München

Die Region München wächst weiter ungebremst: Schätzungen zufolge beträgt das Bevölkerungswachstum in München bis 2030 14 %. Die Nachbarlandkreise erwarten ein ähnliches Wachstum. Gleichzeitig steigen die Mieten unaufhaltsam: Über 20 € pro m² im Erstbezug sind heute Standard. Die Leidtragenden sind insbesondere Senioren, Alleinerziehende und junge Familien. Diese Mitte der Gesellschaft kann sich Wohnraum in München und im Münchner Umland nicht mehr leisten. Auch die Kommunen stehen damit vor der Herausforderung, das Problem vor Ort anzugehen und bezahlbares Wohnen zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund veranstaltete baucultur project in Kooperation mit der Bayerischen GemeindeZeitung am 04. Mai 2018 den 1.Wohnungsbaupolitischen Dialog in München. Unter dem Motto „Ist bezahlbarer Wohnraum in der Region München möglich?“ wurden im forum baucultur im skygarden vor rund 50 Gästen praxisnahe Lösungsansätze für die Kommunen diskutiert. Referenten waren u.a. Robert Niedergesäß, Landrat von Ebersberg, Norbert Seidl, 1. Bürgermeister der Stadt Puchheim, Dr. Karin Zauner-Lohmeyer von Wiener Wohnen sowie die Geschäftsführer von baucultur project Dr. Christoph Maier und Markus Ostermair. In zwei Podiumsdiskussionen konnten sich die Gäste direkt mit den Referenten austauschen.

Dr. Maier eröffnete die Veranstaltung indem er darauf aufmerksam machte, wie sich der Mietpreis zusammensetzt, da sich nur hieraus auch die Potentiale für bezahlbares Wohnen ableiten lassen. Demnach betragen die Anteile für das Grundstück sowie Planen und Bauen jeweils rund 30 %. Weitere 10 % gehen an Projektentwickler und Bauträger. 10 % müssen für die Instandhaltung und die nicht direkt auf den Mieter umlegbare Verwaltung bezahlt werden, während der restliche Anteil von ca. 20 % als Gewinn beim Vermieter bleibt. 

Ein Ziel – viele Wege

„Es wird insgesamt zu wenig gebaut und das was gebaut wird, ist zu teuer!“, so Landrat Niedergesäß in seiner Keynote. Bei einem jährlichen Zuwachs von 2000 Menschen im Landkreis Ebersberg führt das zu einer Verdrängung von Gering- und Normalverdienern. Hierauf reagierte der Landkreis mit der Gründung einer Wohnbaugesellschaft im Dezember 2016. Die WBEgKU (Wohnbaugesellschaft Ebersberg gemeinsames Kommunalunternehmen) fördert bezahlbaren Wohnraum nicht mit der Ausschüttung von unmittelbaren Fördergeldern, sondern durch die Bereitstellung von Verwaltungskapazitäten zur Unterstützung der Bauämter und Haushalte in den Gemeinden. Auch auf kommunaler Ebene ist Wohnen ein brisantes Thema. Das Modell, sich aus der Mitte der Gesellschaft heraus selbst bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, funktioniert aktuell nicht mehr.

Als Bürgermeister der Stadt Puchheim hat Norbert Seidl daher klare Vorstellungen für die Zukunft: „Unsere Strategie besteht im Wesentlichen aus drei Säulen. Wir wollen erstens den vorhandenen Wohnbestand der Kommune sichern, zweitens eine Verdichtung zulassen, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen und drittens Neubaugebiete erwerben und bebauen.“

Wer ist die Mitte der Gesellschaft?

„Man geht davon aus, dass nicht mehr als ein Drittel des monatlichen Gesamtbudgets für Wohnen ausgegeben werden soll. Senioren haben beispielsweise eine Durchschnittsrente von 1400 € und hätten bei dieser Kalkulation rund 466 €  Wohnbudget zur Verfügung. Die Realität weicht davon deutlich ab. Senioren müssen bei einem typischen Grundriss und der aktuellen Marktmiete mit 880 € rechnen. Eine analoge Rechnung gilt für Alleinstehende und junge Familien“, erklärt Markus Ostermair. Norbert Seidl führt hierzu aus: „Die Gefahr einer sozialen Ausdifferenzierung sollte man genau im Auge haben. Es kommen immer mehr Leute in unsere Kommune, aber es kommen nicht die Leute, die wir für einen ausgewogenen sozialen Mix brauchen. Genau hier sehe ich die Verantwortung bei der Politik. Wenn ich Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger bei mir in der Kommune haben möchte, dann muss ich die Voraussetzungen dafür schaffen.“ Auch Niedergesäß spürt die Auswirkungen vor Ort: „Wir bekommen kein Personal mehr, wenn wir nicht gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum anbieten. Zu mir kommen junge Polizisten und Feuerwehrleute, die sich hier nichts mehr leisten können und deshalb raus in einen anderen Landkreis ziehen müssen.“

Wohnbaupolitik ist Sozialpolitik: Wien als Leitbild 

Dass es auch anders geht, zeigt die Stadt Wien. 25 % der Wiener Stadtbevölkerung wohnt in den städtischen Immobilien von Wiener Wohnen. Weitere 25% der Wiener wohnen in von der Stadt geförderten Wohnungen sozialer Bauträger. Wiener Wohnen ist die größte kommunale Hausverwaltung Europas und verfügt über mehr als 100 Jahre Erfahrung im kommunalen Wohnungsbau. 

Ähnlich wie in München wächst auch Wien mit einer hohen Geschwindigkeit. Der Wohnungsmarkt in der Bundeshauptstadt ist traditionell überwiegend ein Mietwohnungsmarkt. Daher sind das Mietmodell sowie der städtische und der geförderte Wohnbau in Wien gesetzt: „Wir sehen Wohnen nicht als Herausforderung, sondern als unseren Job, unsere Aufgabe als Stadtverwaltung an. Das ist genauso wichtig wie eine Schule, ein Krankenhaus oder die Müllabfuhr. Aktuell verwalten wir rund 500.000 Menschen“, betonte Dr. Zauner-Lohmeyer. 

Durch den kommunalen und den geförderten Wohnbau (Durchschnittsmiete dort ca. 6 € pro m²) erfährt auch der private Wohnungsmarkt eine erhebliche Preisdämpfung: 10 € beträgt die aktuelle netto Durchschnittsmiete in Wien. Wien hat zudem nie einen Ausverkauf seiner Immobilien betrieben. In den 1970er Jahren haben viele Kommunen ihre Grundstücke veräußert, um kurzfristig an Geld zu kommen, Wien nicht. Heute profitiert die Stadt doppelt von diesem Erbe, denn jeder Euro, der in Wohnbauförderung gesteckt wird, kommt 1,7-Fach in Form von Steuern und Sozialausgaben wieder zurück. Das hat ein Wirtschaftsforschungsinstitut im Auftrag von Wiener Wohnen berechnet. Investitionen in die Wohnbauförderung bringen demzufolge langfristig sowohl sozial als auch ökonomisch einen Ertrag. Zauner-Lohmeyer erklärt: „Wohnbaupolitik ist Sozialpolitik. Die Vergangenheit hat deutlich gezeigt, dass der Markt das alleine nicht regeln kann.“

Zusammen sind wir stark: Der Landkreis Ebersberg macht`s vor

Der Landkreis Ebersberg unterstützt mit seinem Konzept auf freiwilliger Basis die Kommunen. Für Brigitte Keller, Vorstand WohnBaugesellschaft Ebersberg ist das selbstverständlich. Im Rahmen der Podiumsdiskussion erklärte sie: „Wir stellen die Logistik und das Management zur Verfügung und die Gemeinde behält die Steuerung in ihrer eigenen Hand. Wir möchten als Problemlöser fungieren und aus gemeinnützigen Gründen neuen Wohnraum schaffen.“

Die Idee hinter der WBEgKU basiert auf mehreren Bausteinen: Die Kommune gibt ein Stammkapital von 10.000 € in das gKU ein, welches daraufhin den Zuschuss nach dem Wohnbauförderprogramm des Kreisstaates beantragt. Nach erfolgreicher Genehmigung wird der Zuschuss über einen Betrauungsakt an die WBE weitergeleitet. Das Grundstück der Kommune wird der Wohnungsbaugesellschaft zwar zur Verfügung gestellt, bleibt aber weiterhin in ihrem Eigentum. Die WBE baut letztendlich das Gebäude über einen Generalübernehmer und kümmert sich um eine private Hausvermietung und die Finanzen. Das Belegungsrecht liegt bei der Kommune. Über die steuerfreien Mieten werden Gelder für Sanierungen angesammelt und nach rund 25 Jahren fällt das Gebäude an die Gemeinde zurück. Es kann dann entweder mit dem Restwert abgelöst werden oder die Kommune verlängert den Vertrag. 

Auf diese Weise hat die WBEgKU bereits ihr erstes Gebäude in Grafing realisiert. „Das Haus in Grafing wird nach 25 Jahren inklusive Instandhaltungskosten komplett abgeschrieben sein. Ab dem 26. Jahr eröffnet das der Gemeinde die Chance, mit den Mieteinnahmen weiteres Wohneigentum zu schaffen. Wir können den nachfolgenden Generationen damit nachhaltig und aus der Vermietung heraus bezahlbaren Wohnraum schaffen“, so Keller bei der Podiumsdiskussion. Auch die Politik bringt neue Hoffnungen: „Das Förderprogramm für kommunalen Mietwohnungsbau war zunächst auf 2019 beschränkt, jetzt höre ich aus der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Söder, dass es bis 2025 verlängert wird. Das ist ein Bewusstseinswandel, der da stattfindet“, so Landrat Niedergesäß, der neben Keller im Aufsichtsrat der WBEgKU sitzt. Das bekräftigt auch Dr. Lore Mühlbauer, Sachgebiet Wohnungswesen bayrische Regierung: „Das kommunale Förderprogramm läuft bei uns momentan so gut, dass im Jahr 2018 die Bewilligungssumme schon so hoch war wie im ganzen Vorjahr 2017.“

baucultur project als Partner der Kommunen

baucultur project steht als Partner der Kommunen bereit, bezahlbaren und zum Wohnbudget von Senioren, Alleinerziehenden und jungen Familien passenden Wohnraum zu schaffen. Ziel ist es, Wohnraum für die Mitte der Gesellschaft, die sich die vom Markt angebotenen Luxusimmobilien nicht leisten kann, bereitzustellen.

Auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen werden in ihrem Konzept mit aufgefangen. Durch den demographischen Wandel kommt es zu einer zunehmenden Vereinzelung älterer Menschen. Hausgemeinschaften mit einer generationsübergreifenden Idee bilden eine Antwort hierauf: gemeinsame Grünflächen und Gemeinschaftsräume, auch für Nachbarn und lokale Vereine, bringen die Menschen unterschiedlicher Altersklassen und Herkunft wieder zusammen. 

Um zu einer bezahlbaren Miete zu kommen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: „Wir brauchen kostengünstiges Bauen ohne Schnickschnack und intelligente, weil kompakte Grundrisse. Die Alleinerziehende Mama ist froh, wenn jedes Kind ein Zimmer hat, ob die Wohnung 54 oder 74 m² groß ist interessiert nur Ihren Geldbeutel. Daneben brauchen wir einen umfassenden Verzicht auf Gewinnmaximierung bei allen Beteiligten. So gibt es bei uns keinen Bauträgergewinn. Wir suchen soziale Träger für unsere Immobilien, die mit einer sozialen Rendite zufrieden sind, am besten die Kommunen selbst.  Schließlich müssen die Kommunen den Baugrund zu vergleichsweise günstigen Preisen in die Projekte einbringen“, erläutert Ostermair. Mit diesen Ansätzen lässt sich die Miete um ca. 35 % senken. „Wenn wir dann noch die intelligenten Grundrisse ins Spiel bringen, erreichen wir für die alleinerziehende Mama einen Sprung von ca. 1.200.- € für eine marktübliche Dreizimmerwohnung auf ca. 650 € Miete, das passt dann zu ihrem Wohnbudget und es bliebt mehr Geld für Essen und Bildung.“

Als Partner der Kommunen unterstützt baucultur project auf verschiedenen Wegen: Einmal in der Funktion eines Generalübernehmers für Planen und Bauen, oder als langfristiger Partner in der Erbbaulösung. Das setzt einen Erbbauvertrag voraus und hat für die Kommunen zwei Vorteile: sie behalten ihre Objekte weiterhin im Bestand und können, auch durch Belegrechte, Kontrolle über ihre Nutzung ausüben. Nach der Vertragslaufzeit fällt das Grundstück wieder an die Kommune als Erbbaugeber zurück. Als dritte Möglichkeit erwirbt baucultur project auch selbst Grundstücke von Kommunen. 

Schließlich begleitet und unterstützt baucultur project als Dienstleister auch Kommunen bei der Initiierung und Umsetzung von kommunalen Wohnbauprojekten, die nach dem kommunalen Wohnbauförderprogramm (KommWFP) oder nach der Einkommensorientierten Förderung (EOF) von der Regierung gefördert werden. In diesem Zusammenhang wird baucultur project in Kooperation mit der Regierung von Oberbayern, der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt und den Landkreisen Freising und Erding zwei Folgeveranstaltungen mit dem Titel „Dialog Wohnen“ durchführen. Dabei werden die breiten Fördermöglichkeiten von Regierung und BayernLaBo und realisierte Projekte von kommunalen Vertretern und Bewohnern vorgestellt. In Diskussionsforen können die Teilnehmer ganz konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für Ihre Kommunen mit den Referenten besprechen. Der „Dialog Wohnen im Landkreis Freising“ findet am 13.07.2018 ab 09.00 Uhr in Moosburg a.d. Isar, der „Dialog Wohnen im Landkreis Erding“ am 20.07.2018 ab 09.00 Uhr in Wartenberg (Anmeldung: mail@baucultur.de). 

Wohnen ist Daseinsvorsorge

Wohnen darf kein Luxus sein, denn Wohnen ist wesentlicher Bestandteil der Daseinsvorsorge. Über dieses politische Selbstverständnis waren sich alle Teilnehmenden des 1. Wohnungsbaupolitischen Dialogs einig. Die Veranstaltung hat deutlich gezeigt, dass es viele Ansätze und Wege gibt mit dem Thema bezahlbares Wohnen in der Region München umzugehen. Die kommunalen Verantwortungsträger sollten sich daher überlegen, wie sie sich in Zukunft positionieren möchten. Wichtig ist dabei eine nachhaltige Strategie, um auch nachfolgenden Generationen den Verbleib in ihren Heimatgemeinden zu ermöglichen. 

Neben dem sozialen Effekt bringt der kommunale Wohnungsbau mittel- und langfristig mit einem Payback-Faktor von 1,7 auch ökonomisch Rendite und schafft gleichzeitig die Basis für weitere Investitionen.


Sonderbeilage der Bayerischen Gemeindezeitung

„1. Wohnungsbaupolitischer Dialog in München”
Hier downloaden (PDF)